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Begriffsklärung

Sexualisierte Gewalt

Sexualisierte Gewalt bezeichnet im allgemeinen Sprachgebrauch alle sexuellen Handlungen,

  • die gegen den Willen einer anderen Person geschehen, oder
  • die an Personen, vorgenommen werden, die nicht wissentlich bzw. nicht aus freiem Willensentschluss und damit nicht wirksam zustimmen oder ablehnen können (z. B. aufgrund körperlicher, psychischer, kognitiver oder sprachlicher Unterlegenheit).

Bei unter 14-Jährigen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sie sexuellen Handlungen nicht zustimmen können. Sexuelle Handlungen an unter 14-Jährigen sind deshalb immer als sexualisierte Gewalt zu werten, selbst wenn ein Kind oder ein Jugendlicher / eine Jugendliche ausdrückt, einverstanden zu sein, oder ein Täter oder eine Täterin dies so interpretiert.

Sexualisierte Gewalt beginnt bei Grenzverletzungen, wie z.B. anzüglichen Sprüchen oder Gesten, und reicht über sexuelle Übergriffe, wie z.B. heimliche Fotos, unerwünschte Berührungen, exhibitionistische Handlungen, bis hin zur sexuellen Nötigung und Vergewaltigung.

(Grafik angelehnt an: Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH): Handlungsleitfaden zum Umgang mit sexueller Gewalt in Schule. Kronshagen, 2023, S. 8)

Sexualisierte Grenzverletzungen

Sexualisierte Grenzverletzungen finden teilweise unbeabsichtigt oder beiläufig statt, stellen für die betroffene Person aber eine äußerst unangenehme und oft sehr belastende Erfahrung dar und müssen für die an Schulen tätigen Personen deshalb Gegenstand regelmäßiger Reflexion sein. Im Hinblick auf eine respektvolle Schulkultur dürfen sexualisierte Grenzverletzungen auf keinen Fall systematisch übersehen bzw. toleriert werden. Je nachdem, ob Grenzverletzungen unbewusst oder bewusst geschehen, kann der Übergang zu sexuellen Übergriffen bis hin zur sexuellen Nötigung und Vergewaltigung fließend sein.

Wichtig für das pädagogische Handeln ist eine Sensibilisierung der Schulgemeinschaft für angemessene Formen des Umgangs. Inwiefern Grenzverletzungen in erster Linie pädagogisch in den Blick zu nehmen sind oder eine weitergehende Intervention verlangen, hängt vom Kontext (Situation, beteiligte Personen, …) ab. Es ist Fingerspitzengefühl gefragt: Weder sollte die Reaktion einzelne Worte, wie z.B. unreflektiert verwendete Ausdrücke der „Jugendsprache“, überdramatisieren oder kriminalisieren noch sollten (verbale) Grenzverletzungen, selbst wenn sie weit verbreitet sind, als vermeintlich harmlos normalisiert werden. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass die Grenzverletzung von Erwachsenen gegenüber Kindern und Jugendlichen stattfindet. 

 

Beispiele für sexualisierte Grenzverletzungen bzw. Übergriffe, die im schulischen Kontext auftreten bzw. von Schülerinnen und Schülern als solche empfunden werden können:

  • Unterschreiten des Distanzrahmens, unerwünschte Berührungen
  • unbeabsichtigtes Berühren von Brust- oder Genitalbereich, ohne sich zu entschuldigen
  • anzügliche Gesten, Sprüche oder „Witze“
  • Verwenden oder Tolerieren von Ausdrücken wie „Pussy“, „Schlampe“, „Schwuchtel“ o. Ä.
  • unangemessenes Kommentieren (auch durch Komplimente) der körperlichen Entwicklung von Schülerinnen oder Schülern
  • unangemessene Fragen zum Liebesleben von Schülerinnen und Schülern
  • unangemessene Kommentare in schulischen Pflegesituationen (bei Schülerinnen und Schülern mit einem hohen Förderbedarf)
  • unangekündigtes Betreten von Dusch- oder Umkleideräumen
  • Herunter- oder Hochziehen von Kleidung
  • Aufforderung durch Mitschülerinnen oder Mitschüler zu Berührungen
  • heimliche Fotos von Mitschülerinnen oder Mitschülern oder auch von Lehrkräften beim Umziehen
  • exhibitionistische Handlungen oder Aufforderung dazu
  • entsprechende Vorkommnisse außerhalb der Schule, von denen betroffene Schülerinnen oder Schülern berichten

Erläuterung zur Verdeutlichung, dass stets eine Einordnung erforderlich ist

Für die Einordnung einer konkreten Handlung, Äußerung oder Geste kommt es immer auf den konkreten Kontext an. Wichtige Faktoren, auch mit Blick auf die strafrechtliche Relevanz, sind hier nicht nur das Alter der Beteiligten (Kind, Jugendlicher, Erwachsener), sondern z. B. auch das Verhältnis der Beteiligten zueinander (Besteht z. B. ein Macht- und/oder Abhängigkeitsverhältnis?). 

Im Strafrecht kann (§ 176 Abs. 2 StGB) z.B. ausnahmsweise die Vornahme sexueller Handlungen zwischen einem Jugendlichen und einem Kind im Einzelfall sogar sanktionslos bleiben, das Gericht von Strafe absehen. Voraussetzung dafür ist, dass die Handlungen einvernehmlich sind, dass der Alters- und Reifeunterschied gering sind und dass die handelnde Person nicht etwa die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt. Die Gesetzesbegründung führt aus, dass es „geradezu Ausdruck der Entwicklung der sexuellen Selbstbestimmung sein kann“, wenn Personen unter 14 Jahren sexuelle Handlungen mit annährend Gleichaltrigen austauschen. Für das ungestörte Durchlaufen der einzelnen Entwicklungsphasen ist es wichtig, dass dem Kind beziehungsweise Jugendlichen ein Freiraum sexueller Selbsterprobung mit (annähernd) Gleichaltrigen verbleibt. Beispielsweise ist hier an ein zunächst 13-jähriges Pärchen in derselben Jahrgangsstufe zu denken, das sich bisweilen küsst, wenn zunächst der/die eine und kurze Zeit später der/die andere 14 Jahre alt wird – oder an Komplimente und Bekundungen der Zuneigung unter fast Gleichaltrigen. Sobald der Alters- oder Reifeunterschied zunimmt oder ein Geschehen in der Gruppe ein Zurückweisen/einen Rückzug nicht ganz so einfach macht, sind Aufmerksamkeit und Schutz geboten. 

Im Verhältnis zwischen an der Schule tätigen Erwachsenen und Schülerinnen und Schülern sind selbstverständlich alle genannten Beispiele, auch bei scheinbarem Einvernehmen, strikt zu vermeiden oder gegebenenfalls unverzüglich zu beenden.
 

Sexualisierte Gewalt in digitalen Medien

Digitale Medien sind über den persönlichen Kontakt hinaus ein Gefahrenraum für das Auftreten sexualisierter Gewalt in verschiedenen Erscheinungsformen, wie zum Beispiel Missachtung der Persönlichkeitsrechte, Cybermobbing oder Cybergrooming.

Beispiele und Begrifflichkeiten für sexualisierte Gewalt in digitalen Medien 

Cybermobbing (Cyberbullying) bezeichnet eine Form des Mobbings, bei der absichtliche, systematische und meist langanhaltende aggressive Handlungen über Internet oder andere digitale Wege auf Smartphones und andere Geräte verbreitet werden. Dies kann u.a. neben dem Versenden von beleidigenden Nachrichten auch das Posten von privaten Fotos oder Filmen in sozialen Netzwerken sein und entwickelt deshalb häufig eine ganz eigene Dynamik. Das Ziel der Täter und Täterinnen ist immer, das Opfer auszugrenzen, zu schikanieren oder bloßzustellen. (vgl. https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/kinder-und-jugend/medienkompetenz/was-ist-cybermobbing--86484).

Cybergrooming bezeichnet das gezielte Anbahnen von sexuellen Kontakten durch Erwachsene zu Minderjährigen über das Internet. Das englische Wort „Grooming“ bedeutet „striegeln“ und steht sinnbildlich für die systematische Annährung der Täter und Täterinnen an Kinder und Jugendliche. Dabei erschleicht sich der Täter oder die Täterin das Vertrauen des Kindes oder des Jugendlichen, oft über soziale Medien, Online-Spiele oder Chat-Plattformen, um ein Vertrauens- oder Abhängigkeitsverhältnis herzustellen und die Opfer dadurch schrittweise zu manipulieren und emotional zu beeinflussen. Ziel ist es, das Kind zu sexuellen Handlungen zu verleiten oder dazu, Nacktbilder zu senden, oder es im schlimmsten Fall zu realen Treffen zu drängen. (vgl. https://www.klicksafe.de/cybergrooming).

Sexting ist das Versenden und Empfangen von erotischen oder sexuell expliziten Nachrichten, Bildern oder Videos über digitale Kommunikationskanäle wie SMS, E-Mail, soziale Medien oder Chat-Apps. Der Begriff setzt sich aus den Wörtern „Sex" und „Texting" zusammen und umfasst sowohl Texte als auch multimediale Inhalte. Es kann einvernehmlich zwischen Erwachsenen oder auch in problematischeren Kontexten, wie bei Minderjährigen oder ohne Zustimmung des oder der Betroffenen, stattfinden. Sexting birgt immer Risiken, wie die ungewollte und teilweise auch strafbare Verbreitung der Inhalte und damit einhergehend die sexuelle Ausbeutung und/oder Erpressung (= Sextortion) (vgl. https://beauftragte-missbrauch.de/themen/definition/sexuelle-gewalt-im-internet).

 

(Erklärungen zu den Formen von Gewalt siehe auch: https://bayern-gegen-gewalt.de/)

 

Quellen und weiterführende Informationen

Hier erhalten Sie weitere Hintergrundinformationen: