Vertiefender Baustein eines Schutzkonzeptes - Vereinbarungen zum grenzwahrenden Umgang
Worum geht es bei diesem Baustein?
Vereinbarungen für den Umgang mit Schülerinnen und Schülern
Vereinbarungen zum grenzwahrenden Umgang mit Schülerinnen und Schülern formulieren Grundsätze für das tägliche Miteinander. Insbesondere Regelungen für Situationen, die für sexualisierte Gewalt ausgenutzt werden können, sind durch die Vereinbarungen klar definiert. Alternativ von Schulen genutzte Begriffe sind „Verhaltensleitbild“, „Verhaltenskodex“ oder „Selbstverpflichtungserklärung“.
Ob, wann und in welchem Umfang eine Schule für sich derartige Vereinbarungen erstellt, ist eine Entscheidung der Schulleitung.
Empfehlenswertes Instrument für Prävention und Orientierung
Entscheidet sich eine Schule dafür, derartige Vereinbarungen zu erstellen, erhält sie damit ein Präventionsinstrument, welches Lehrkräften und allen weiteren Beschäftigten in der Schule einen Orientierungsrahmen für das eigene Verhalten im Umgang mit Schülerinnen und Schülern gibt. Vereinbarungen zum grenzwahrenden Umgang dienen Schülerinnen und Schülern als Schutz vor sexualisierter Gewalt und den in der Schule beschäftigten Personen als Schutz vor falschen Verdächtigungen. Sie erhöhen die Sensibilität aller Beteiligten für problematische Situationen. Fachlich gesehen ist das Erstellen von Vereinbarungen, die zumindest ganz grundsätzliche Regeln zum Umgang und zum Nähe-Distanz-Verhalten enthalten, daher sehr empfehlenswert. Unter Umständen können entsprechende Grundsätze auch in das Leitbild der Schule mit aufgenommen werden.
Sinnvolle Auswahl von Situationen
Damit der pädagogische Alltag nicht durch Regeln überfrachtet wird, bietet es sich an, die in den Vereinbarungen zum grenzwahrenden Umgang aufgeführten Situationen überschaubar zu halten. Die erstellten Maßgaben sind nicht als abschließend zu verstehen. Jede Pädagogin und jeder Pädagoge bleibt jederzeit selbst dafür verantwortlich, das Verhältnis von Nähe und Distanz zu Schülerinnen und Schülern angemessen zu gestalten.
Folgende Punkte können beispielsweise in ein Schutzkonzept aufgenommen werden:
- Vereinbarung zum Umgang mit privaten Kontakten
- Vereinbarung zu Dusch- und Umkleidesituationen im Sport bzw. Schwimmunterricht und anderen schulischen Veranstaltungen
- Vereinbarung zum Fotografieren
- Weitere Vereinbarungen je nach Schule und Schulart, unter Berücksichtigung vorhandener Vereinbarungen im Rahmen von Ganztagsangeboten, ggf. Anpassung an Ganztag und Internatsschulen
Vereinbarungen zum grenzwahrenden Umgang als Ergebnis eines schulinternen Diskurses
Vereinbarungen zum grenzwahrenden Umgang entspringen häufig als Ergebnis der schulinternen Risikoanalyse. Die Grundsätze können entweder durch den Arbeitskreis vorbereitet werden oder z.B. im Rahmen eines pädagogischen Tages mit dem Kollegium inhaltlich erarbeitet werden, vgl. „Optionale Methode zur Risikoanalyse: Reflexionsbogen für den Arbeitskreis oder das Personal der Schule“ im Materialteil zur Risikoanalyse.
Anregungen und Beispiele
Beispiel: Verhaltenskodex zur Prävention von sexualisierter Gewalt an der Stiftsschule St. Johann Amöneburg
1 Gestaltung von Nähe und Distanz
1.1 Einzelgespräche, Übungseinheiten, Einzelunterricht usw. finden nur in den dafür vorgesehenen geeigneten Räumlichkeiten statt. Diese müssen jederzeit von außen zugänglich sein.
1.2 Herausgehobene, intensive freundschaftliche Beziehungen zwischen Bezugspersonen und Schülerinnen und Schülern sind zu unterlassen. Über rein private außerschulische Aktivitäten von Bezugspersonen mit Schüler/innen ist der Schulleiter vorab zu informieren.
1.3 Spiele, Methoden, Übungen und Aktionen werden so gestaltet, dass den Schülerinnen und Schülern keine Angst gemacht und keine Grenzen überschritten werden.
1.4 Individuelle Grenzempfindungen sind ernst zu nehmen und zu achten und nicht abfällig zu kommentieren.
1.5 Grenzverletzungen müssen thematisiert werden und dürfen nicht übergangen werden.
1.6 Wenn aus guten Gründen von einer Regel abgewichen wird, muss dies immer transparent gemacht werden.
2 Angemessenheit von Körperkontakt
2.1 Unerwünschte Berührungen, körperliche Annäherung sind grundsätzlich nicht erlaubt.
2.2 Körperkontakt ist sensibel und nur zur Dauer und zum Zweck einer Versorgung wie z.B. Pflege, Erste Hilfe, Trost oder zum Schutz erlaubt.
2.3 Im Sportunterricht sind Hilfestellungen / Sicherungen als eindeutige Hilfestellung zu gestalten und zu erläutern.
3 Sprache und Wortwahl
3.1 Schülerinnen und Schüler werden mit ihrem Vornamen und nicht mit Kosenamen angesprochen. Spitznamen sind nur auf Wunsch des Schülers/der Schülerin erlaubt.
3.2 In keiner Form von Interaktion und Kommunikation wird sexualisierte Sprache verwendet. Ebenso werden keine abfälligen Bemerkungen oder Bloßstellungen geduldet, auch nicht unter den Schülerinnen und Schülern.
3.3 Verbale und nonverbale Interaktion sollen der jeweiligen Rolle und dem Auftrag entsprechen und der Zielgruppe und deren Bedürfnissen angepasst sein.
3.4 Bei Grenzverletzungen ist einzuschreiten und Position zu beziehen.
4 Umgang mit und Nutzung von sozialen Netzwerken / Umgang und Nutzung von Medien
4.1 Filme, Computerspiele, Druckmaterial oder sonstige digitale Medien mit pornographischen Inhalten sind verboten. Gewaltverherrlichende oder diskriminierende Inhalte dürfen nur im unterrichtlichen Kontext ausschließlich nach geltenden gesetzlichen Bestimmungen verwendet werden.
4.2 Die Nutzung von sozialen Netzwerken im Kontakt mit Schülerinnen und Schülern, zu denen ein Betreuungsverhältnis besteht, ist nur im Rahmen der gültigen Regeln und Geschäftsbedingungen zulässig.
4.3 Bei Veröffentlichungen ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht, insbesondere das Recht am eigenen Bild, zu beachten.
4.4 Bezugspersonen und sonstige Verantwortliche sind verpflichtet, bei der Nutzung jedweder Medien durch Schülerinnen und Schüler auf eine gewaltfreie Nutzung zu achten. Sie sind verpflichtet gegen jede Form von Diskriminierung, gewalttätigem oder sexistischem Verhalten und Mobbing Stellung zu beziehen und ggf. angemessene Schritte einzuleiten.
4.5 Schülerinnen und Schüler dürfen in unbekleidetem Zustand (umziehen, duschen...) weder beobachtet, noch fotografiert oder gefilmt werden.
5 Beachtung der Intimsphäre
5.1 Gemeinsames Umkleiden, gemeinsame Körperpflege mit Schülerinnen und Schülern, insbesondere gemeinsames Duschen, ist nicht erlaubt.
5.2 Der persönliche Besitz der Schülerinnen und Schülern gilt als deren Privatsphäre, die zu achten ist.
6 Zulässigkeit von Geschenken
Finanzielle Zuwendungen, Belohnungen und Geschenke an einzelne Schülerinnen und Schüler, die in keinem Zusammenhang mit der konkreten Aufgabe der Bezugsperson stehen, sind nicht erlaubt.
7 Disziplinarmaßnahmen
7.1 Insbesondere ist bei Disziplinierungsmaßnahmen jede Androhung und jede Form von Gewalt, Nötigung, Drohung oder Freiheitsentzug untersagt. Das geltende Recht ist zu beachten.
7.2 Einwilligungen der Schülerinnen und Schüler in jede Form von Gewalt, Nötigung, Drohung oder Freiheitsentziehung dürfen nicht beachtet werden.
8 Verhalten auf Tagesaktionen, Freizeiten und Reisen
8.1 Auf schulischen Veranstaltungen und Reisen müssen Schülerinnen und Schüler von einer ausreichenden Anzahl erwachsener Begleitpersonen begleitet werden. Die schulrechtlichen Regelungen sind zu beachten. [Ergänzung: vgl. hierzu Nr. 4 der Durchführungshinweise zu Schülerfahrten, Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 9. Juli 2010, Az. II.1-5 S 4432-6.61 208]
8.2 Bei Übernachtungen von Schülerinnen und Schülern im Rahmen der in 8.1 genannten schulischen Veranstaltungen sind den Begleiterinnen und Begleitern sowie den Schülerinnen und Schülern Schlafmöglichkeiten, Waschräume und Toiletten in getrennten Räumen zur Verfügung zu stellen. Ausnahmen aufgrund räumlicher Gegebenheiten sind vor Beginn der Veranstaltung zu klären und bedürfen der Zustimmung der Erziehungsberechtigten und des jeweiligen Rechtsträgers. [Ergänzung: vgl. Nr. 3.5 der Durchführungshinweise zu Schülerfahrten,
Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 9. Juli 2010, Az. II.1-5 S 4432-6.61 208.8.3] In Schlaf-, Sanitär- oder vergleichbaren Räumen ist der alleinige Aufenthalt einer Bezugsperson mit einer einzelnen Schülerin oder einem einzelnen Schüler zu unterlassen. Ausnahmen sind mit der Schulleitung vorher eingehend dem Grunde nach zu klären sowie im Einzelfall anzuzeigen.
9 Bekanntmachung
Der Verhaltenskodex (allgemeiner und spezieller Teil) zur Prävention von sexualisierter Gewalt wird allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie allen Kindern und Jugendlichen und deren Eltern schriftlich ausgehändigt. Zusätzlich wird er ausgehängt.
Quelle:
Verhaltenskodex der Stiftsschule St. Johann Amöneburg, angepasst an Rechtsgrundlagen für Staatl. Schulen in Bayern:
https://www.stiftsschule.de/stiftsschule/pdf/unsere_schule/praevention/Verhaltenskodex_speziell.pdf
Unterstützendes Material zum Baustein
Quellen und weiterführende Informationen
- Arbeitsstab der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Schule gegen sexuelle Gewalt, abzurufen unter https://bayern.schule-gegen-sexuelle-gewalt.de/bestandteile#c99
- Formulierungsvorschlag der UBSKM zu Zielen, Verbindlichkeit und erforderlicher Transparenz des Verhaltenskodex. abzurufen unter https://www.schule-gegen-sexuelle-gewalt.de/fileadmin/Inhalte/PDF/Formulierungsvorschl%C3%A4ge/Formulierungsvorschlaege_Verhaltenskodex.pdf
- Brinks, T., Oppermann, M., Waligora, K., Jeck, S., Kühl-Frese, H., Teske, H. & Kuhn, G. (2023). Kinderschutz in der Schule. Leitfaden zur Entwicklung und praktischen Umsetzung von Schutzkonzepten und Maßnahmen gegen sexuelle Gewalt an Schulen. Kultusministerkonferenz, S. 40f., abzurufen unter https://www.kmk.org/themen/allgemeinbildende-schulen/praevention-von-gewalt-und-sexuellem-missbrauch.html
- Broschüre bezogen auf den Ganztag „Grenzen achten im Alltag“ des Staatsinstituts für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB), abzurufen unter: https://www.ganztag.isb.bayern.de/unsere-veroeffentlichungen/informationsbroschueren/